Anpassen oder Untergehen - Klimawandel verändert Küstenfischerei und Gesellschaft in Peru

16.06.2023

Das Meer vor der Westküste Südamerikas ist einer der produktivsten Fischgründe der Welt. Im System des Humboldt-Stroms wird durch den Auftrieb von kaltem und nährstoffreichem Wasser das Wachstum von Plankton angeregt, das wiederum als Nahrung für kommerziell genutzte Fischarten wie Sardellen oder Mahi-Mahi dient. Veränderungen im Ökosystem aufgrund der zunehmenden Erwärmung der Ozeane haben nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit der Ozeane und der Fischpopulationen in der Region, sondern auch auf den weltweiten Fisch- und Meeresfrüchtemarkt. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt Humboldt-Tipping haben Wissenschaftler aus Deutschland und Peru unter Leitung der Universität Kiel vier Jahre lang diese Zusammenhänge im Humboldt-Auftriebsgebiet vor der Küste Perus umfassend untersucht und gemeinsam mit lokalen Nutzergruppen Anpassungsstrategien an die sich verändernden Umweltbedingungen entwickelt. Die Forschungsergebnisse der ersten Phase sind in Form einer virtuellen Ausstellung veröffentlicht, die online besucht werden kann.

Der Klimawandel hat direkte Auswirkungen auf eines der wichtigsten Fischgebiete der Welt. Im Humboldt-Auftriebsgebiet sind ökologische, soziale und wirtschaftliche Dynamiken so eng miteinander verknüpft wie in kaum einer anderen Region der Erde. Rund acht Prozent der weltweiten Fangmenge an Meeresressourcen stammen von den Küsten Perus. Rund 80 Prozent des Gesamtfangs werden als Fischmehl und Fischöl als Hauptbestandteil von Aquakulturfutter exportiert, zum Beispiel nach China und Norwegen.

Schwindende Fischbestände haben lokale und globale Auswirkungen

"Insbesondere die Folgen für die globale Fischereiwirtschaft sind ohne Anpassungsstrategien, die von den lokalen Nutzergruppen mitentwickelt und mitgetragen werden, nur schwer zu bewältigen", sagt Professorin Marie-Catherine Riekhof, Direktorin des Zentrums für Ocean and Society des Kieler Forschungsschwerpunkts Meereswissenschaften (KMS) an der Universität Kiel und Koordinatorin des Projekts Humboldt-Tipping, das ausdrücklich einen ganzheitlichen und transdisziplinären Ansatz verfolgt. Gemeinsam mit peruanischen wissenschaftlichen Partnern haben Forschende aus Hamburg, Bremen und Kiel ein Netzwerk aus Fischern, Verbänden, Kommunen und Nutzergruppen aus Aquakultur und Tourismus aufgebaut und mit ihnen vor Ort Methoden entwickelt, um sich an die veränderten Bedingungen anpassen zu können. Ausgangspunkt für die Arbeiten war die Analyse möglicher Auswirkungen einer Veränderung des Stickstoffkreislaufs im Humboldt-Auftriebsgebiet. Anorganischer Stickstoff ist ein wichtiger Nährstoff, der das Wachstum des Phytoplanktons in vielen marinen Ökosystemen begrenzt.

"Unsere Modellanalysen zeigen jedoch, dass Veränderungen im Plankton weit weniger Einfluss auf die Produktivität der Fischbestände haben als erwartet. Vielmehr deuten die Ergebnisse darauf hin, dass das Überleben der Nachkommen und Veränderungen im Lebensraum selbst einen großen Einfluss auf die Bestandsschwankungen haben", sagt Dr. Mariana Hill vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, die sich im Rahmen des Humboldt-Tipping-Projekts mit möglichen biogeochemischen Kipp-Punkten beschäftigt hat.

Ferner wurden auch Ökosystemmodelle erstellt und Klimaprojektionen analysiert, um Vorhersagen über Kipppunkte und künftige Klimabedingungen zu treffen. Die Prognosen zeigen einen möglichen Zusammenbruch oder Rückgang einiger wichtiger Arten wie der Sardelle, aber auch stetige Veränderungen, wie die oberflächennahe Erwärmung im Humboldt-Auftriebsgebiet.

Keine Anzeichen für abrupte Lebensraumumkippungen - Anpassung noch möglich

"Wir sehen derzeit keine Anzeichen für Kipppunkte des gesamten Ökosystems", sagt Dr. Giovanni Romagnoni vom Zentrum für Ocean and Society des Kieler Forschungsschwerpunktes (KMS) an der CAU. "Der eher allmähliche Rückgang der Artenvielfalt zur gleichen Zeit deutet darauf hin, dass neue Arten die Nischen derjenigen besetzen können, für die wir aufgrund des Klimawandels einen Kollaps vorhersagen müssen, und so deren ökologische Rolle übernehmen", sagt der Meeresbiologe Romagnoni, der vor kurzem vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung an die Kieler Universität gewechselt ist.

Um die Auswirkungen verschiedener Managementoptionen für den Umgang mit Kipp-Punkten zu untersuchen, hat eines der Arbeitspakete in Humboldt-Tipping einen konzeptionellen Rahmen geschaffen, die so genannte "Window of Tipping Point Analysis (WTPA)". Mit diesem können die verschiedenen Akteure ihre Handlungsoptionen ausloten. "Gute institutionelle Rahmenbedingungen können eine entscheidende Rolle dabei spielen, negative Folgen abzumildern oder sogar in positive umzuwandeln. In der zweiten Phase von Humboldt-Tipping wollen wir diese Anpassungsstrategien an die veränderten Umweltbedingungen konkretisieren", sagt Projektkoordinator Riekhof.

Virtuelle Ausstellung und Bildungsplattform präsentiert vier Jahre Forschung an der peruanischen Küste

Die Ergebnisse des Projekts werden in einer virtuellen Ausstellung präsentiert, die von Dr. Frederike Tirre vom Center for Ocean and Society des Forschungsschwerpunkts Kiel Marine Science (KMS) an der Universität Kiel entwickelt wurde. Tirre, die in der ersten Phase des Humboldt-Tipping-Projekts für die forschungsbasierte Öffentlichkeitsarbeit und Wissenschaftskommunikation zuständig war, erklärt: "Die Besucherinnen und Besucher können das Leben im und am Humboldtstrom und die verschiedenen Lebensräume im Ozean in einem 3-D-Modell erkunden und spielerisch in die verschiedenen Themen eintauchen. Die Ausstellung soll ein Gefühl für die Komplexität dieses bedeutenden Systems vermitteln und zeigt, wie eng auch wir in Deutschland und Europa mit dem Auftriebsgebiet des Humboldtstroms vor der Küste Perus verbunden sind."

Die Besucherinnen und Besucher haben die Möglichkeit, sich einen umfassenden Überblick über das Gebiet und seine globale Bedeutung zu verschaffen. Wer mehr erfahren möchte, findet im Bereich der Informationspakete weiteres Material zu den Ausstellungsthemen wie Fischerei, Nachhaltigkeit, Klimawandel und dem Humboldtstrom selbst. Wissenschaftliche Poster, Präsentationen, Berichte, Interviews und alle Kurzfilme, die während des Projekts entstanden sind, sind dort ebenfalls zu finden. Die virtuelle Ausstellung ist online und als Browserversion in Deutsch, Englisch und Spanisch frei zugänglich.

Link zur virtuellen Ausstellung:

https://virtex.humboldt-tipping.org/de/ausstellung

Über Humboldt-Tipping

Das Projekt "Sozio-ökologischer Tipping Point des nördlichen Humboldtstrom-Auftriebssystems, ökonomische Auswirkungen und Governance-Strategien, kurz Humboldt-Tipping" wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und ist Teil der Bio-Tip-Bekanntmachung des FONA-Programms - Forschung für nachhaltige Entwicklung. An Humboldt-Tipping sind Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), der Universität Hamburg, der Universität Bremen, des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung Bremen und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel sowie Partner des Instituto del Mar del Perú (IMARPE) und der Group for the Analysis of Development (GRADE), Lima, Peru beteiligt.

Link zur Projektseite Humboldt Tipping:

https://humboldt-tipping.org/de

Link zur Original-Pressemitteilung:

www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/162-humboldt-tipping-peru

Kontakt


Dr. Frederike Tirre

Center for Ocean and Society
Neufeldtstraße 10
24118 Kiel