Marine Krankheiten – eine unterschätzte Gefahr für Gesellschaft und Ökosysteme

11.06.2025

Austern sind im Hinblick auf Infektionskrankheiten die am besten untersuchte Muschelart. Sie besitzen eine hohe kommerzielle sowie kulturelle Bedeutung für den Menschen, die weit über ihre Nutzung als Nahrungsmittel hinausgeht. Für ihre neue Studie nutzten die Forschenden Austern als Fallbeispiel. © Kate Baucherel @ Pixabay

Krankheitsausbrüche im Meer – die etwa durch Viren, Bakterien oder Parasiten verursacht werden – haben weitreichende Folgen für die Ökosysteme. In der Forschung lag der Fokus daher bisher auf ihrer ökologischen Bedeutung. Die Bewertung der sozial-ökonomischer Auswirkungen für die lokale Gesellschaft war hingegen zweitrangig. In einer kürzlich in der Fachzeitschrift Ocean and Coastal Management veröffentlichten neuen Studie haben Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) gemeinsam mit internationalen Kolleginnen diese Lücke geschlossen und einen erweiterten Ansatz entwickelt, der marine Krankheiten als eine Gefahrenquelle für die Küstenregionen und deren Bevölkerung berücksichtigt. Am Beispiel der Austernzucht wird die Tragweite der Gesundheitsrisiken der Ozeane deutlich sichtbar.

„Ozean und Gesellschaft sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn marine Krankheiten Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen, hat das immer auch Folgen für den Menschen, sei es gesundheitlich, wirtschaftlich oder kulturell. Für diese Risiken müssen wir vorbereitet sein – nicht nur mit Diagnostik, sondern mit politischen Instrumenten“, sagt Erstautorin Dr. Lotta Clara Kluger, von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).

Bewährter Rahmen zur Risikobewertung als Grundlage

Als Grundlage für ihre Studie diente den Forschenden der internationale Bewertungsrahmen des United Nations Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR). Sie adaptierten diesen auf Ausbrüche mariner Krankheiten. Neu ist außerdem die Einbeziehung einer zweiten Analyseebene, auf der die Auswirkungen eines Krankheitsausbruches, etwa das Massensterben von Austern, auf die lokale Gesellschaft oder Wirtschaft betrachtet wird – der sogenannte Spill-Over-Effekt. Die Analyseebenen bilden das Risiko ab, welches nach der Definition des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) als das Produkt von Gefahr (Hazard), Exposition (Exposure) und Verwundbarkeit (Vulnerability) entsteht.

„Bisher waren bestehende Regelungen eher fragmentiert und auf bekannte Krankheitserreger beschränkt. Die komplexen Dynamiken mariner Krankheitsausbrüche verlangen aber neue Formen des Managements, das ökologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt“, so Kluger, die im Center for Ocean and Society (CeOS) des CAU-Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS) die Arbeitsgruppe Marine Ernährungssicherheit leitet.

Von der Austernpopulation zu gesellschaftlichen Folgen

Für ihre Studie nutzen die Forschenden Austernpopulationen als praxisnahes Beispiel. Die im Hinblick auf Infektionskrankheiten am besten untersuchte Muschelarten haben eine hohe kommerzielle und kulturelle Bedeutung für den Menschen, die weit über die Nutzung von Muscheln als Nahrungsmittel hinausgeht. Sie gelten als Ökosystemingenieure, filtern das Wasser und sind zudem nicht auf zusätzliche Fütterungen angewiesen.

Die Auswirkungen mariner Krankheiten auf Austern sind in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen spürbar. In der Aquakultur fallen durch Austernsterben Profite weg oder Behandlungskosten steigen. Kranke Austern wirken sich negativ auf die Gesamtgesundheit eines gesamten Riffs aus, da sie den Nährstoffkreislauf fördern und die Algenblüte kontrollieren. Auch ihre Funktion als Wellenbrecher und ihr Schutz vor Küstenerosion wird durch Erkrankungen eingeschränkt. Für andere Tiere stellen sie Schutz- und Lebensraum oder Nahrungsressource dar und haben somit einen wichtigen Einfluss auf die Fischerei und dessen Wertschöpfungskette. Die Wasserqualität eines Riffes hat zudem Auswirkungen auf den Tourismussektor und Freizeitangebote der betroffenen Region. An bestimmten Orten haben Austern außerdem einen hohen kulturellen Wert, sie gelten als lokales Erbe und sind Teil von Tradition und Geschichte.

Risikominimierung auf zwei Ebenen

Konkrete Strategien zur Risikominimierung sind sowohl auf der ökologischen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene bei den Faktoren der Exposition und der Verwundbarkeit möglich. Für die Austernpopulationen können Züchterinnen und Züchter bestimmte günstige Bedingungen selektieren. Das trifft unter anderem auf die Standortauswahl, eine künstliche Wasserfilterung oder auch Transferbeschränkungen zu. Die Reduzierung der Exposition kann durch die Auswahl einer wenig krankheitsanfälligen Spezies erfolgen. Auf der zweiten Ebene ist die Risikominimierung vor allem von finanzieller Bedeutung: Der Abschluss von Versicherungen, das Erschließen weiterer Einkommensquellen oder die Erweiterung der Produktvielfalt sind Möglichkeiten, dem durch Krankheitsausbrüche entstehenden Schaden entgegenzuwirken.

„Anstatt nur auf Ereignisse zu reagieren, sollten Risiken im Vorhinein erkannt und minimiert werden. Unser Ziel ist es konkrete Instrumente zu liefern, mit denen sich Risiken reduzieren lassen – für Zuchtbetriebe, Gemeinden und politische Entscheidungsträger gleichermaßen. Nur so stärken wir Meeresgesundheit, Ernährungssicherheit und gesellschaftliche Resilienz“, so Kluger.

Die neue Studie ist im Projekt “Beyond One Ocean Health (B1OH)” entstanden, ein internationales, inter- und transdisziplinäres Projekt im Rahmen der UN Dekade der Ozeanforschung für Nachhaltige Entwicklung unter Leitung von Prof. Dr. Marie-Catherine Riekhof, Direktorin des CeOS im CAU-Forschungsschwerpunkt Kiel Marine Science. Noch bis zum 13. Juni findet in Nizza (Frankreich) die dritte Ozean-Konferenz der Vereinten Nationen (UNOC) statt. Ziel der von Frankreich und Costa Rica gemeinsam ausgerichteten Konferenz ist es, weltweite Maßnahmen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Ozeane, Meere und Meeresressourcen umzusetzen.

Hintergrundinformation

Beyond One Ocean Health - Forschungsprojekt im Rahmen der UN Ozeandekade
Im Projekt “Beyond One Ocean Health (B1OH)” untersucht ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Centers for Ocean and Society (CeOS) des Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) im Rahmen der UN Dekade der Ozeanforschung für Nachhaltige Entwicklung die Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Krankheit im Ozean bei Pflanzen und Meerestieren sowie der menschlichen Gesundheit. Ziel des Projektes ist es, insbesondere im internationalen Kontext eine ganzheitliche Sicht auf einen intakten Zustand des Ozeans zu entwickeln. Darüber hinaus werden Aspekte hinsichtlich einer gerechten Nutzung des Ozeans und ethische Fragestellungen für eine nachhaltige Nutzung der Ozeanressourcen betrachtet. Das Projekt trägt zu den Zielen der UN Ozeandekade “gesunder und widerstandsfähiger Ozean”, “vorhersehbarer Ozean” und “inspirierender Ozean” bei und ist Teil des Dekadenprojektes Digital Twins of the Ocean (DITTO) geleitet wird. Projektpartner in Beyond One Ocean Health (B1OH) sind die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), das GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel und internationale Partner aus England, Schweden, Kanada, Brasilien und den Kapverden.

Originalpublikation
Kluger, L.C., Karstens, S., Lopes, A.F., Kuhn, A., Arzul, I., & Riekhof, M.C. (2025). Marine diseases as a threat to society: Adopting and advancing the UNDRR risk framework. Ocean and Coastal Management, 266, 107640.
https://doi.org/10.1016/j.ocecoaman.2025.107640

Pressemitteilung des Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS) der Christian-Albrechts-Universität

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Dr. Lotta Clara Kluger