Wie kann der Umweltzustand der Ostsee verbessert werden?
19.12.2025
Interreg-Projekt RECOVER entwickelt digitales Managementsystem für die Ostsee
Wie lässt sich die Ostsee wirksam schützen und ihr ökologischer Zustand verbessern? Dieser Frage widmet sich das neue deutsch-dänische Interreg-Projekt RECOVER, das einen digitalen Zwilling der südwestlichen Ostsee entwickelt. Basierend auf Mikroalgen als empfindlichen Bioindikatoren soll das System in Echtzeit sichtbar machen, wie es dem Meer geht, wo Belastungen entstehen und welche Schutzmaßnahmen wirken. Das Projekt wird durch das Interreg-Programm Deutschland-Danmark mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert, läuft bis 2028 und bindet Wissenschaft, Politik, Landwirtschaft, Fischerei, Kommunen und Öffentlichkeit aktiv ein.
Die Ostsee erfüllt, wie alle Meeresökosysteme, zentrale Funktionen im Klimasystem und für das Leben an den Küsten: Sie bindet Kohlendioxid (CO2), liefert Nahrung und Sauerstoff und prägt die Lebensqualität der Menschen. Gleichzeitig ist sie stark belastet. Überdüngung, Erwärmung, Algenblüten und großflächige Zonen mit wenig oder ganz ohne Sauerstoff bedrohen das sensible Binnenmeer. Die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur verpflichtet die Mitgliedstaaten, bis 2030 Maßnahmen zu ergreifen, um mindestens 20 Prozent der geschädigten marinen Lebensräume zu regenerieren – eine Aufgabe, die in der deutsch-dänischen Grenzregion besonders anspruchsvoll ist, denn Strömungen kennen keine Landesgrenzen: Was in Deutschland eingetragen wird, kann sich wenig später in Dänemark bemerkbar machen und umgekehrt.
Das neue Interreg-Projekt RECOVER untersucht, wie Deutschland und Dänemark die westliche Ostsee – einschließlich der Kieler Bucht und des Großen und Kleinen Belts – künftig besser managen können. „Im Zentrum des Projekts stehen Mikroalgen, weil sie sehr empfindliche Indikatoren für den Zustand des Ökosystems sind“, erklärt Projektleiterin Prof. Dr. Anja Engel, Leiterin des Forschungsbereichs Marine Biogeochemie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. „Jede Art reagiert unterschiedlich auf Nährstoffe, Licht, Salzgehalt oder Erwärmung. Wenn wir verstehen, wie sich die Biodiversität der Mikroalgen unter komplexen Umweltveränderungen entwickelt, können wir daraus auch ableiten, ob Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ostsee erfolgreich sind.“
Monitoring von Mikroalgen
In den kommenden drei Jahren legt RECOVER die Grundlagen für einen digitalen Zwilling der westlichen Ostsee – ein virtuelles Abbild, das Umweltentwicklungen sichtbar macht und drohende Belastungen frühzeitig erkennen kann. Dafür erfassen die Forschenden Arten und Häufigkeiten von Mikroalgen mithilfe hochauflösender Kamerasysteme, die Algenzellen in Echtzeit identifizieren und zählen. Außerdem kommen moderne Analysen von Umwelt-DNA (environmental DNA, e-DNA) zum Einsatz. Damit können genetische Spuren von Lebewesen in Wasserproben bestimmt werden, die Auskunft über die gesamte Artenvielfalt geben.
Mikroalgen bilden die Basis der Nahrungsnetze und spielen eine wichtige Rolle bei der Kohlenstoffbindung. Gleichzeitig können toxische oder massenhaft auftretende Arten zu Gesundheitsrisiken, Sauerstoffmangel und sogar Fischsterben führen. Ein Beispiel dafür sind die im Sommer häufig auftretenden Cyanobakterien, die auch unter dem Namen „Blaualgen“ bekannt sind. Bislang ist das Monitoring in der Region lückenhaft und aufwendige Laboranalysen verzögern wichtige Entscheidungen. RECOVER will diese Lücke schließen.
Echtzeitdaten für ein gesundes Meer: Die Ostsee im digitalen Abbild
Damit künftig an vielen Stellen im deutsch-dänischen Grenzraum zuverlässige Daten zur Wasserqualität vorliegen, entwickelt das RECOVER-Team robuste und kostengünstige Sensoren, die Nährstoffe, Temperatur, Sauerstoff oder den grünen Farbstoff der Algen – das Chlorophyll a – messen und auch von engagierten Bürger:innen einfach eingesetzt werden können.
Parallel entsteht an der Syddansk Universitet (SDU) eine KI-gestützte Datenverarbeitung, die biologische Signale der Algen in nutzbare Informationen übersetzt. Alle Messwerte fließen in die Simulationsplattform ein, die Umweltbedingungen und Algendynamik in der deutsch-dänischen Grenzregion abbildet. „Wir kombinieren modernste Sensortechnologie mit künstlicher Intelligenz, um das Meer umfassender zu überwachen, als es mit herkömmlichen Methoden möglich ist“, sagt Associate Professor Jacek Fiutowski vom Mads Clausen Institut. „Anstatt teure und zeitaufwendige Analysen durchzuführen, erhalten wir Echtzeitdaten, die direkt in den digitalen Zwilling einfließen.“
Von Daten zu Taten: Ostseeschutz mit Bürgerbeteiligung
Der digitale Zwilling soll nicht nur der Forschung dienen. RECOVER möchte die „Warnsignale“ der Algen für Politik, Fischerei, Küstengemeinden und die Öffentlichkeit verständlich machen – und damit das Bewusstsein für den Zustand der Ostsee stärken. Dafür richtet das Projekt eine partizipative Plattform ein, die den Austausch von Wissen, Erfahrungen und bewährten Verfahren im Ostseemanagement erleichtert. Vertreter:innen aus Politik, Unternehmen, Landwirtschaft, Fischerei, Kommunen und der breiten Öffentlichkeit werden aktiv einbezogen, um die Wirksamkeit und Tragfähigkeit möglicher Schutzmaßnahmen zu beurteilen. Das Projekt will so das Bewusstsein für die Leistungen der marinen Ökosysteme schärfen und ein besseres Verständnis für die ökologische Gesundheit der Ostsee fördern. Dafür arbeiten Forschungseinrichtungen, Universitäten und zahlreiche Netzwerkpartner auf beiden Seiten der Grenze zusammen.
„RECOVER allein kann die Ostsee nicht retten, aber es liefert das Wissen und die Werkzeuge, die politische Entscheidungsträgerinnen und -träger dringend benötigen“, sagt Anja Engel. „Wir verknüpfen Expertise über Grenzen hinweg und entwickeln technische Lösungen, die ein wirkungsvolles Management ermöglichen.“
Projektpartner in RECOVER ist die die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) mit dem Center for Ocean and Society des Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS). Dr. Annegret Kuhn leitet gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Politikwissenschaft der Süddänischen Universität die vergleichende Analyse von gesellschaftlicher Akzeptanz politischer Maßnahmen zur Reduzierung von Nährstoffeinträgen in die Ostsee. Durch die Auswertung von qualitativen Befragungen landwirtschaftlicher Akteure, repräsentativen öffentlichen Umfragen und ökonomischen Modellierungsansätzen, werden von Dr. Annegret Kuhn und CeOS-Direktorin Professorin Dr. Marie Catherine Riekhof Erkenntnisse für wirkungsvolle zukünftige marine Schutzmaßnahmen generiert.“
Bis zum Projektende 2028 sollen konkrete Anwendungen bereitstehen: erschwingliche Sensoren, KI-Modelle zur Vorhersage von Algenblüten und eine interaktive Plattform, die allen Interessierten erlaubt, die Zukunft der Ostsee zu erkunden – ein digitaler Zwilling, der das Unsichtbare sichtbar macht.
Hintergrund: Interreg-Projekt RECOVER
Name: REsilience of COastal Vital Ecosystems through innovative management solutions in the Danish-German border Region (RECOVER)
Laufzeit: Oktober 2025 - September 2028
Budget: 2,3 Millionen Euro
Leitung: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
Dänische Partner: Universität Süddänemarks (SDU, drei Institute)
Deutscher Partner: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
21 Netzwerkpartner aus Industrie, Verwaltung und Zivilgesellschaft
Untersuchungsgebiet: Südwestliche Ostsee, einschließlich Kieler Förde, Großer und Kleiner Belt
Förderung: Interreg-Programm Deutschland-Danmark mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)
Projektpartner
Das Projekt wird vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel geleitet, das seine Expertise in den Bereichen Meeresforschung, kamerabasierter Mikroalgenmessung sowie physikalisch-biogeochemischer Modellierung einbringt.
Das Mads Clausen Institut (MCI) in Sønderborg entwickelt Sensoren und KI-gestützte Werkzeuge, die biologische Signale der Algen in nutzbare Daten übersetzen.
Das Nordcee Lab der SDU in Odense liefert Expertise in eDNA-basierten Analysen der Mikroalgengemeinschaft.
Am Mærsk Mc-Kinney Møller Institute entstehen KI-Modelle und Visualisierungstools, die komplexe ozeanografische Daten für die Öffentlichkeit zugänglich machen.
Das Center for Ocean and Society (CeOS) des Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und das Institut for Statskundskab der SDU erforschen gemeinsam die gesellschaftliche Akzeptanz von Wiederherstellungsmaßnahmen.
Netzwerkpartner
Ministerium für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein, Abteilung V5: Naturschutz, Meeresschutz und Biodiversität
Landeshauptstadt Kiel
Eckernförde Touristik & Marketing GmbH
Ostsee-Holstein Tourismus
Naturpark Schlei e.V.
Shaping an Ocean Of Possibilities (SOOP) for science-industry collaboration
ACO Ahlmann SE & Co. KG
Meeresbiologische Station Laboe
Verein Jugendsegeln e.V.
Kreis Schleswig-Flensburg
Stadt Flensburg
Faaborg Midtfyn Kommune
Avernakø Beboerforening
Geopark - det Sydfynske Øhav
LAG Småøerne forening
VandCenter Syd A/S
CLEAN - Environmental Cluster Denmark
WaterCareGuard
Copenhagen Nanosystems A/S
Jürgensen Marine Environment
Aabenraa Kommune